Fritz Genschow - Onkel Tobias

Fritz Genschow  Berlin 15.05.1905 - 21.06.1977

Schauspieler,Autor, Regisseur, Intendant und Produzent.

Rede zur Ausstellungseröffnung anlässlich des  100. Geburtstages von Fritz Genschow im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main am 25.09.2005, gehalten von Gabriel Genschow (Sohn, verstorben 2007).

"Eines der auffälligsten Merkmale der Karriere von Fritz Genschow sind ihre Brüche und Neuanfänge" so beginnt die sehr treffende Biografie von Johannes Kamps. Ich kann Ihnen versichern: Sein Leben war eine einzige Aneinanderreihung von Neuanfängen. Dafür gibt es zwei Gründe:

Die äußeren Umstände: Kaiserreich, 1.Weltkrieg, Weimarer Zeit, NS-Zeit, 2.Weltkrieg, Nachkriegsdeutsch- land. Zweimal war die Bäckerei seiner Eltern abgebrannt, zweimal die Existenz verloren, zweimal Wiederaufbau aus dem Nichts.

Die inneren Umstände: Er strotze nur so vor Willens- und Schaffenskraft, wollte alles sofort und allein machen. Wenn er etwas konnte, wurde es ihm schnell langweilig und trieb ihn zu Neuem an. Er war schnell begeistert und schnell enttäuscht.                                                                                                                           Ein Beispiel meiner persönlichen Erfahrung: Nachdem die 35.Theaterfassung von "Hänsel und Gretel" gerade fein säuberlich mit der Schreibmaschine abgeschrieben worden war und alle Familienmitglieder an der Verviel- fältigungsmaschine standen, aus der gerade das 50. Exemplar herauslief, kam er mit ein paar unleserlichen Handschriften aus seinem Arbeitszimmer und alles musste eingestampft und neu geschrieben werden. Ich hasste das wie die Pest- und mache es heute genauso, nur, dass der Computer die Arbeit erleichtert. Die Brüche von Fritz Genschow verlaufen aber auch analog zu den drei Phasen der menschlichen Entwicklung, die der von ihm so verehrte Johann Wolfgang Goethe wie folgt beschrieben hat:                                                                                   1. In unserer Jugend sind wir Revolutionäre, weil wir nichts besitzen als unsere Ideale, die Ungerechtigkeiten der Welt erkennen und sie verändern wollen: "Revolte im Erziehungshaus", "Zyankali", "Strassenmusikant" Eintritt in die KPD.                                                                                                                 2. Wenn wie erwachsen sind und mitten im Leben stehen, sind wir Demokraten , die andere anerkennen und selbst anerkannt werden wollen: siehe seine Filme, in denen er das den Märchen eigene "Grausame" stets  sozialverträglich" abmilderte.                                                                                                                                  3. Im Alter sind wir Aristokraten, weil wir unsere Besitztümer verteidigen und unsere Meinung nicht mehr ändern wollen: er hielt auch in den 68-er Jahren an seinen Auffassungen fest und war so konservativ wie heute Joschka Fischer und Otto Schily.  

Was war Fritz Genschow? Am Anfang stand sicher sein starker Drang zur Bühne als Schauspieler. Aber als er erkannte, dass man sich Stücke und Rollen nicht mehr aussuchen konnte, wenn man nicht verhungern wollte, schrieb er selbst-wurde Autor. Dann spürte er die Lust das Verfasste auch umzusetzen , zu inszenieren und wurde Regisseur. Schließlich wollte er auch entscheiden, was wo gespielt wird, und da er von klein auf gelernt hatte, mit wenig Geld viel zu erreichen, wurde er Intendant und Produzent. Seine Vorbilder waren Erwin Piscator, Intendant der Volksbühne, mit dem er zusammenarbeitete und später Max Reinhardt. Sein Traum keinen Vorgesetzten mehr zu  haben außer dem Publikum. Diese Stellung hatte er sich Mitte der 50er Jahre erarbeitet. Es folgte eine große, aber kurze Blütezeit, bevor das sog. "Jugendschutzgesetz" und das aufkommende Fernsehen seinen allmählichen Niedergang einleitete. Denn sich mit Redakteuren und anderen Geldgebern zu arrangieren, war definitiv nicht sein Ding. Deshalb ging er stets auch große wirtschaftliche Risiken ein. Sich von vielen künstlerisch reinreden zu lassen verbat ihm sein starkes Ego und sein unmittelbarer Tatendrang. Sein Motto war: " Was du heute kannst besorgen das verschiebe nicht auf morgen!" Und so waren denn auch seine Einkünfte großen Schwankungen ausgesetzt. Ich persönlich erlebte diese Zeit mit Villa, Chauffeur, Köchin und Kinder- mädchen wie selbstverständlich, bis ich dann einen freundlichen Mann kennen lernte, der uns öfter besuchte und an unsere Möbel seine "Briefmarken" klebte..

Sein erstes und letztes Pokerspiel mit Fernsehredakteuren hatte er 1961, als er mal wieder weder die Miete noch die verbliebenen angestellten bezahlen konnte. Er fuhr nach Köln zum WDR und bot ihm 10 Filme für 1 Mio DM an. Falls sie ablehnen, würde er sofort zum ZDF nach Mainz weiterreisen..  Er bekam den Auftrag über 10 Filme für 1 Mio. und produzierte dabei auch den Film "Der vertauschte Prinz", der die Wandlung des hartherzigen Königs Kratos zum warmherzigen Regenten zeigt, der auch ein guter Vater und Gärtner war. Diese Geschichte spiegelt ein wenig sein eigenes Leben wieder.

Was bleibt in meiner Erinnerung an die Zeit der großen Märchenfilme? In "Tischlein deck dich" beispielsweise hatte ich als Vierjähriger eine Minirolle: ich musste der Ziege einen Kuss geben. Wie groß war das Gelächter, als ich am nächsten Tag tatsächlich "Ziegenpeter" bekam!   Zum Glück wirkten die großen Erfolge noch bis in die 60er Jahre nach. Mehrere seiner Märchenfilme kamen in den USA synchronisiert in die Kinos und erhielten höchste Auszeichnungen 3 1/2 Stars für Aschenputtel. In Spanien (Gijon) erhielt sein Jugendfilm "Kalle wird Bürgermeister" den ersten Preis; schließlich ehrte ihn Berlin für sein langjähriges Theaterschaffen 1963 mit dem Brüder-Grimm-Preis.  In den 70er Jahren ging es dann steil bergab. 1971 starb Renée Stobrawa, seine 1.Frau, mit der er über 40 Jahre lang zusammengearbeitet hatte. Einen Bühnenarbeiter hatte ich in den 60er Jahren mal sagen hören."Wie schafft der Fritze det bloß mit zwee Weiba unter eenem Dach zu leben?"- 1972 wurde die Sendung "Die RIAS-Kinder besuchen Onkel Tobias" abgesetzt- nicht mehr zeitgemäß lautete die Begründung. Diese Entscheidung hat ihm emotional das Genick gebrochen. Obwohl er "nur" Sprecher war, erreichte er eine nie mehr wiederholbare Hörerbindung an seine Person. Bis heute erinnern sich 99 % der über 50-jährigen Berliner an diese Sendung! Inzwischen hatten die 68er den "Marsch durch die Institutionen" angetreten, sein Stil galt als autoritär und überholt. Wie eine Ironie des Schicksals mutet es an, wenn die "Supernanny" heute fordert, den Kindern Vorbilder zu sein , ihnen damit Orientierung zu geben und ihnen mit elterlicher Autorität klare Grenzen zu setzen. Ihm wurde sein Anliegen als "pädagogischer Zeigefinger" ausgelegt. All dies hat er in seinen Filmen immer getan, vielleicht oder gerade weil er es selbst in seiner Jugend, wie viele aus seiner Kriegsgeneration, schmerzlich vermisst hatte.  Als er 1975 zum letzten Mal unter immer schwierigeren Bedingungen "Hänsel und Gretel" inszenierte (Die Zuschüsse von "Theater der Schulen" des Senates waren ihm endgültig gestrichen) und dabei aus Geldmangel immer weniger Leute immer mehr herumscheuchte, setzte ich mich in einer stillen Minute neben ihn und sagte: Papa, du bist ein General ohne Armee". Ein letztes Mal huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Die Krankheit, die ihn 18 Monate zur  Strecke brachte, hatte ihn schon fest im Griff.

Was bleibt als Vermächtnis? Sicherlich seine großen Märchenfilme, die auch heute nach 50 Jahren noch auf DVD und im "Heimatkanal" und sogar im Kino ihr Publikum finden. Künstlerisch haben seine Filme stest polarisiert: Es gibt fast nur Verehrer und totale Verächter. Wirtschaftlich haben die Märchen fast ausnahmslos z.T. das Mehrfache ihrer Produktionskosten eingespielt. Der preiswerteste Film war "Rotkäppchen" mit 9.000,-  DM, der teuerste "Frau Holle" 180.000,- DM, heute etwa 90.000,- € bis 1.800.000,-€ .

Wie sehe ich meinen Vater heute: Als einen Mann, der sein Leben liebte, besonders die Frauen, die Filme und das Theater, und der so ziemlich alle Höhe-und Tiefpunkte erlebte, die das Leben so bietet. In Bezug auf Film und Theater sagte er immer" Das Drumherum ist zwar sauer, aber das Dabeisein ist süß!" Und er hatte viele süße Momente...                           

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